Die Schlange im Paradies I

Das hier ist ein Ausschnitt aus dem Tympanon des Schöpfungsportals an der Nordseite des spätgotischen Chors, kunstvoll gestaltet etwa im Jahr 1360. In der unteren Etage ist der Beginn unserer Misere abgebildet, der Sündenfall mit seinen unmittelbaren Folgen. Ganz links und hier im Bild ist der Fall an sich. Und mitten da drin die berühmte Schlange. Aber befremdlich sieht sie aus, die Schlange. Sie windet sich nicht auf der Erde oder schlängelt sich nicht im Baum, wie sie sonst oft dargestellt wird, nein, sie steht aufrecht und das auch noch auf zwei Füßchen. Nun, das befremdet nur deswegen, weil wir die Bibel, also Gen 3 nicht unvoreingenommen lesen. Da steht nämlich genau, dass die Erzählung vom sogenannten Sündenfall nicht nur zwei, sondern drei ÜbeltäterInnen kennt: Eva, Adam und vor allen als Anstifterin des Ganzen die Schlange. Und alle drei bekommen ihr Fett weg,  auch die Schlange wird bestraft: „Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang!“ Das heisst: Erst als Folge ihres üblen Schabernacks, den sie den beiden gespielt hat, liegt sie platt auf dem Boden, davor, so folgerte man schon in der Antike und wusste der theologische Berater unseres Steinmetzen,  marschierte sie stolz aufrecht.

Wer oder was war aber nun eigentlich die Schlange? Wir Älteren, die wir noch vom „Faust“, zumindest Teil I lesen mussten, wissen: Mephistos Muhme, also Tante;  die Dame gehört dem Bereich des Teuflischen an, ja, sie ist der Teufel. Und das ist bekannt spätestens seit vermutlich dem Jahr 95 n. Chr., als ein Autor namens Johannes seine „Apokalypse“ als Beitrag zum Sammelband „Neues Testament“ geschrieben hat. Hier spielt „die alte Schlange“ eine prominente Rolle als Oppositionsführerin im endzeitlichen Kampf der teuflischen Mächte gegen Gott und seinen Messias. Das wusste folglich auch unser Bildhauer und sein Theologe – oder glaubten es zu wissen.

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Aber das grenzt schon an üble Nachrede: Vom „Teufel“ ist im biblischen Bericht Gen 3 nirgends die Rede, denn den Teufel als Teufel gab es noch nicht, als die traurig-schöne Geschichte von den drei  paradiesischen SünderInnen zum ersten Mal in Israel aufgeschrieben wurde. Da war die Welt noch nicht fein säuberlich in Gut und Böse getrennt. Von wem erzählte wohl unsere Geschichte ursprünglich? Wer hat uns nach der Meinung der ersten Erzähler unser ganzes Elend eingebrockt?

Die nächste Miniatur am nächsten Wochenende: Die Schlange im Paradies II

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