Jedes christlich aufgewachsene Kind kennt sie, den Ochsen und den Esel an der Krippe. Auf dem Bild hier ist fotografiert, wie sie im Turmhallentympanon verewigt sind. Sie stehen hinter dem Prunkbett von Maria an ihrer Futterkrippe. Dem Ochsen scheint es zu schmecken, der Esel schaut kritisch. Wie sie sich in den Stall von Bethlehem verirrt haben, ist eine lange Geschichte. Sie beginnt im Alten Testament und man kann sie bei den Schmidts in ihrer „Bildersprache christlicher Kunst“ nachlesen:
Da hat Gott wieder einmal mit seinem auserwählten Volk Ärger, und er ärgert sich lauthals durch den Mund des Propheten Jesaja (740-701 v.Chr.). Er beschwert sich über ihren verblendeten Starrsinn und ihre Dummheit, in der sie nicht erkennen, dass er ihr gütiger Gott ist. Und dazu macht er einen tierischen Vergleich: Sie sind blöder als Ochs und Esel. „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“ (Jes 1,3) Etwa 400 Jahre später heisst es in der griechischen Fassung der Schriften des Propheten Habakuk sehr rätselhaft: „Inmitten der beiden Tiere wirst du erkannt“ (Hab 3,2). Da liegt vermutlich ein Fehler vor, der den nach dem Jahr 300 v.Chr. arbeitenden griechischen Übersetzern unterlaufen ist; im hebräischen Urtext, wie er uns vorliegt, steht etwas völlig anderes. Und diese beiden Texte haben ursprünglich nichts mit einander zu tun. Die antiken christlichen Autoren haben in ihrer eigenen und damit etwas eigenartigen Art der Bibelauslegung die intelligenten Tiere des Jesaja mit den beiden Tieren des Habakuk verbunden. Und wegen der Krippe des Jesaja haben sie das Ganze in den Stall von Bethlehem verlegt. Und so haben wir schon wieder eine auf wunderbare Weise erfüllte Prophezeiung von unserem Erlöser. Ausformuliert findet sich diese Zusammenstellung erst spät, im Pseudoevangelium des Matthäus vermutlich aus dem frühen 7. Jahrhundert: „Sie (=Maria) legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigten ihm. Da ging in Erfüllung, was der Prophet Jesaja gesagt hatte: ‚Es kennt der Ochse seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn‘. Die Tiere nahmen ihn in ihre Mitte und huldigten ihm ohne Unterlass. So erfüllte sich der Ausspruch des Propheten Habakuk: ‚In der Mitte zwischen zwei Tieren wirst du bekannt werden.“ Die beiden Tiere sind in der darstellenden Kunst, auf Sarkophagdeckeln, schon im 4. Jahrhundert zusammen beim Jesuskind, noch ohne Maria und Josef. Aber die kommen bald auch dazu. – Sind die zwei nicht süss?
Die Miniatur des nächsten Wochenendes zeigt den Propheten Jesaja bei der Jungfrau Maria.