Die christliche Tradition hat unterschiedliche Vorstellungen, wie die moralische Qualifikation eines Menschen endzeitlich ermittelt wird. Im Evangelium (Matth. 25, 31ff) sieht der Weltenrichter sie ihnen an, er scheidet sie nach Sicht „wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet“. Den sexistisch-männerfeindlichen Impetus – die Böcke sind die Bösen – wollen wir übersehen. Hier auf dem Bild aus dem Turmhallentympanon in der zweiten Zeile von unten läuft es anders: Hier werden die Seelen der Menschen gewogen mit einer wunderschönen Balkenwaage. So wird ermittelt, ob sie mit ihren guten Werken schwerer sind als die in der anderen Waagschale lastenden Versäumnisse und Vergehen, also Sünden. Die Waage hält ein Gerichtsengel, in der Regel der Erzengel Michael. (Das Kindsköpfle ist nicht original.)
Aber da sind noch andere, sehr zwielichtige Gestalten: Zwei hängen sich an die Sündenlastschale, um die Seele schlecht zu machen, eine dritte – hier nicht im Bild, weil sie eine eigene Miniatur schmückt – wünscht ihnen händeringend Erfolg: Der legendäre „betende Teufel“ des Freiburger Münsters. Ja, es sind Teufel, die sich die Seele krallen wollen. Aber woher wissen die Steinmetze um das Jahr 1290 bzw. ihre theologischen Berater, dass es Teufel gibt, die solches tun? Ganz einfach: Es war und ist eigentlich immer noch (?) die Lehre der Kirche.
Im Alten Testament weiss man überraschenderweise davon noch nichts. Da fehlt sogar der Teufel als Teufel fast ganz. Dass die Schlange im Paradies ursprünglich nicht der Leibhaftige war, haben wir schon besprochen. Aber dann haben wir doch das Buch Hiob mit dem so beim Namen genannten „Satan“. Die Passage mit dem Satan ist vermutlich etwa 540 v. Chr. entstanden. Hier wird der Teufel doch zum ersten Mal sogar bei seinem Namen genannt: „Teufel“ kommt vom griechischen „Diabolos“, und das ist eine freie Übersetzung von „Satan“ = „Gegner“ oder „Ankläger“. Aber wiederum Fehlanzeige, dieser Satan ist mitnichten der urböse Widersacher Gottes, sondern als hochgestellter Engel Mitglied des Hofstaates Gottes. Allerdings hat er eine befremdliche Rolle; er ist so etwas wie ein sadistischer Laborant in einem von Prof. Dr. Jahwe geleiteten Forschungslabor, in dem grausame Menschenversuche gemacht werden. Und die Rolle des Direktors ist hier mindestens so suspekt wie die seines Gehilfen – von einem gütigen und gerechten Gott ist hier nichts zu sehen, er hat noch gewaltigen Dogmenentwicklungsbedarf.
An zwei anderen, weniger bekannten Stellen des AT (Num 22,22 und 1 Chr 21,1), wo ebenfalls von „Satan“ die Rede ist, hat er ebenfalls keine teuflischen Eigenschaften. Nein, im Alten Testament findet sich der Satan als Satan im späteren Sinn nicht – mit einer klitzekleinen Ausnahme: Im „Buch der Weisheit“, das nur die katholische und die orthodoxen Kirchen zur Bibel zählen und das sehr spät, um das Jahr 50 v.Chr., entstanden ist, steht folgender Satz: „…durch den Neid Satans kam der Tod in die Welt …“ (Weish 2,24) Hier weht ein anderer Wind, hier ist Satan tödlich-böse. Da wir aus dem etwa eineinhalb Jahrhunderte älteren Jesus Sirach wissen, dass der Tod durch Evas Fehltritt in die Welt kam, wird jetzt zum ersten Mal „Satan“ mit diesem Akt in Verbindung gebracht. Ausser Adam war da nur die Schlange mit dabei, also muss sie der Satan gewesen sein. Aber bevor diese Zuschreibung erfolgte, musste etwas Interessantes geschehen. Darauf gehen wir in der nächsten Miniatur ein.