Moses und der gebändigte Gott

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Das ist Moses. Er befindet sich ganz oben im linken Scheitel der Patriarchenarchivolte über dem Tympanon des Turmhallenportals. In seiner linken Hand hält er die Tafeln mit den 10 Geboten, in der rechten eine oben gegabelte Stange, über die eine Schlange aus Metall hängt, die „eherne Schlange“. Sie war ein gottgegebenes Mittel gegen gottgegebene strafende feurige Schlangen. (Num 21, 6-9)

Den Moses liebt der Ministrant ganz besonders. Zu ihm hin hat Gott die Tore der Offenbarung ganz weit aufgemacht. Bei Noah und Abraham hatte er schon ein bisschen geflirtet, aber mit Moses ging es dann richtig los, da hat er Israel geheiratet. Er hat einen Bund mit dem Volk geschlossen, und der basierte auf einem Vertrag. Darin verpflichtete sich Gott, dem Volk das Land Kanaan als sein Territorium auf ewig zu schenken – er „gelobte“ es, deswegen ist es das „gelobte Land“ – und es als seine Wohnstatt zu sichern und das Volk wachsen und gedeihen zu lassen. Das Volk, vermittelt durch Moses, verpflichtete sich seinerseits, alle 613 Gebote der Torah, der fünf Bücher des Moses, genau zu befolgen. In der Folgezeit ging es dem Volk jedoch häufig ausgesprochen suboptimal, aber nicht deswegen, weil Gott den Vertrag nicht einhielt, Gott ist ja „treu“, wie es in der Schrift heisst. Der Grund war, dass das Volk auf allen seinen Ebenen vom König abwärts die Gebote übertretend den Bund brach. Darauf musste Gott immer wieder strafend reagieren. Wie das dann keine Zukunft mehr hatte, wurde das Ganze durch Jesus Christus in einem „neuen Bund“ auf stabilere Füsse gestellt. So die Sicht des Ministranten.

Der spottende Tor vertrat, wen sollte es wundern, in unserer Konferenz eine ganz andere Position. Seine Hypothese ist phantastisch. Er meint, als Jäger und Sammler hätten die Menschen die Welt genommen, wie sie war, sich möglichst angepasst und möglichst viel für sich rausgepflückt. Mit Ackerbau und Viehzucht sei das Verhältnis zur Welt ganz anders geworden, man habe versucht, sie zu bändigen, verfügbar zu machen: Tiere einfangen, einsperren, zähmen, züchten; Pflanzen sähen, kultivieren, züchten; Flüsse eindämmen und kanalisieren. Und zwischen den Leuten wurde auch alles anders: Sehr grosse Verbände, sesshaft, die, wenn sie Ärger miteinander bekamen, sich nicht mehr einfach aus dem Weg gehen konnten. So wurde der Krieg erfunden, aber auch Wege und Möglichkeiten, sich auf Dauer zu vertragen, etwa durch Verträge. Und dann, so sagt der Tor, kam ein ganz Cleverer, vermutlich ein Jahwepriester, auf die glorreiche Idee, sowas mit Gott und der Welt zu versuchen. Das Unterfangen schien erfolgversprechend, denn man hatte in Jahwe nur einen einzigen Adressaten, mit dem man klar kommen musste. Die Jahwepriester hatten ja erfolgreich alle anderen Götter weggemobbt, einschliesslich der armen schönen Aschera, der Frau Jahwes früherer Jahre. (Was ist eigentlich aus ihr geworden? Man hört nichts mehr von ihr.) Und da man ihn zum allmächtigen Schöpfer und Erhalter der Welt hochstilisiert hatte, gab es kein Schicksal mehr, das blind waltete, die ganze Welt war Frucht des Willens und Handelns Gottes. Damit ergab sich zumindest theoretisch die Möglichkeit, den Weltenlauf als ganzen und im einzelnen, über den Einfluss auf Gott, zu gestalten, verfügbar zu machen. Dazu bot man Gott einen Vertrag an, in dem dieser sich zu Wohlverhalten verpflichten sollte, wenn die Leute in bestimmter Weise agierten, nämlich das taten, was die Priester ihnen als Willen Gottes erklärt hatten. Damit wäre das Schicksal bzw. Gott manipulierbar, durch den Bund wäre Gott gebunden und gebändigt gewesen. Man sagte dem Volk, Gott habe den Vertrag angenommen, sei ab jetzt gut und treu und gebändigt, was aber offenkundig nicht der Fall war, denn der Weltenlauf ging genau so chaotisch und blutig weiter wie zuvor, mochten die Frommen sich noch so ins Zeug legen.

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