In der Redaktionskonferenz erzählte der Ministrant von einem Traum. Er war in der Turmhalle und hörte, wie die Tympanonmadonna mit der Ecclesia, der Kirche also im linken Gewände, sprach: „Salü, liebe Ecclesia. Bitte versteh mich nicht falsch, wenn ich was sage. Als Braut meines Sohnes bist du meine künftige Schwiegertochter, so könnte ich als nörgelnde Schwiegermutter dastehen. Aber es macht mir Sorgen, was bei dir läuft und was du machst. Manchmal glaube ich, du hast Europa und Nordamerika abgeschrieben. Du willst dich auf den Rest der Welt gesund schrumpfen, weil die dir weniger Ärger machen. Aber das geht nicht. Und was in Europa und Nordamerika läuft, ist katastrophal. Die Missbrauchsfälle sind Tschernobyl mal Fukushima im Quadrat. Dein Image ist im Eimer, aber du brauchst ein gutes Image; und es ist noch viel schlimmer, deine Ehre hat gelitten, der Respekt, den sie vor dir hatten. Und dagegen muss unbedingt etwas getan werden. Und was machst du? In der Frauenfrage und mit dem Zölibat machst du weiter nur Stuss. Zu behaupten, Frauen hätten in deiner Jugend keine führenden Rollen gespielt, ist Unsinn. Da deine Führungskader das tun, haben sie bei der Lektüre des Neuen Testaments nicht Scheuklappen sondern Augenbinden an. Heute Frauen anders zu behandeln als Männer ist für jede Organisation, die zufriedene Kunden braucht – und das bist du auch -, Selbstmord. Und der Zölibat. Wenn du Aussenstehende fragst, was sie von deinen Priestern halten, sagen sie dir: Ein Teil ist schwul, ein Teil pervers, ein Teil asexuell, der Rest hat eine Geliebte. Und auch bei den dir Nahestehenden sieht es nicht viel anders aus, sie sehen lediglich eine fünfte Gruppe, die redlich auf Familie verzichten um ihrer Aufgabe willen. – Im übrigen habe ich nichts gegen schwule Priester, solange sie Farbe bekennen und sich nicht als Märtyrer des Verzichts zelebrieren lassen. – Du hast ein dickes Kommunikationsproblem. Du und deine Mannen, ihr deutet den Zölibat als Symbol für eine andere Wirklichkeit, auf die der Mensch hinlebt bzw. hinleben soll. Aber dieses Symbol, diese Sprache wird nicht mehr verstanden. Da kannst du deine Leute auch auf Altgriechisch predigen lassen. Aber es ist noch schlimmer: Du wirst nicht nur nicht verstanden, du wirst missverstanden; der Zölibat ist nicht nur wirkungslos als Zeichen, er ist katastrophal in der Produktion der Meinung, du wärst bestimmt von einer verqueren Haltung zur Sexualität. Und damit bist du unten durch. Übrigens: Wenn du Frauen und Verheiratete zu deiner Kerntruppe dazu nimmst, hast du weniger Personalprobleme und verlierst nicht noch mehr Leute, denen der Weg zur Sonntagsmesse inzwischen zu weit ist. Versteh mich nicht falsch, ich möchte nicht rumnörgeln. Wie jede Mutter wünsche ich nur, dass du meinen Sohn glücklich machst, und in der letzten Zeit ist er das nicht.“ Da hätten die Glocken vom Münsterturm geläutet, er sei in seinem Bett aufgewacht und habe nicht mehr gehört, was Ecclesia ihrer Schwiegermutter antwortete.
Der Ecclesia, der Kirche in der Turmhalle im linken Gewände, ging es damals um das Jahr 1300 besser als heute. Sie lächelt siegessicher-zufrieden und sehr freundlich, Kreuzstab und Kelch in den Händen, beide ergänzt bei einer Restaurierung 1887/1889.
Im folgenden der Zusammenhang unserer Figur: Unsere Dame steht ganz links im linken Gewände des Turmhalleninnenportals und schaut ihren Kollegen, den Hl. Dreikönigen, zu, wie sie dem Baby der Trumeaumadonna zwischen den Portalflügeln ihre Aufwartung machen.