Ohne den Kurfürsten Friedrich den Weisen von Sachsen hätte es keine Reformation gegeben. Nur sein starker Arm verhinderte, dass das Problem Luther thermisch gelöst wurde. Kaum vorstellbar: Ohne diesen Kurfürsten hätten wir heute noch das Ablasswesen. Und so ergäben sich auch heute noch gelegentlich in katholischen Familien Diskussionen, die mit folgender Frage von Mutter oder Vater eröffnet würden: Kinder, kaufen wir schon dieses Jahr ein neues Auto oder fahren wir das alte noch ein weiteres Jahr und spendieren statt dessen der lieben toten Oma zu ihrem Geburtstag fünf Jahr Fegfeuererlass? – Kurfürst Friedrich war ein schier süchtiger Sammler von Reliquien. Diese Vorliebe teilten seine Schützlinge keineswegs, im Gegenteil, sie zerdepperten sie, wann immer sie konnten.
In rekatholisierten Gebieten führte das zu einem Mangel an solchen, und in der katholisch gebliebenen Christenheit stieg der Bedarf im Zuge der Gegenreformation an. Das Angebot blieb weit hinter der Nachfrage zurück, denn da Johannes Paul II. noch nicht Papst war, gab es kaum Neuzugänge von Reliquienspendern durch Heiligsprechungen. In dieser Notlage besann sich der Heilige Stuhl auf einen unendlich grossen Schatz an Reliquien im römischen Boden, der bisher kaum gehoben worden war, auf die Gebeine der in den spätrömischen Katakomben Bestatteten. Ob das schöne Märchen von den Katakomben, in denen sich die tapferen Christen vor ihren bösen Verfolgern versteckten, um dort auch die Leiber ihrer ermordeten Märtyrerbrüder und -schwestern zu bestatten und zu verehren, damals aufkam oder ob es schon älter ist, weiss keiner von uns. Auf jeden Fall wurden die Gebeine dort allesamt als Märtyrergebeine und folglich Reliquien definiert. Deswegen wurden viele Skelette hochgeholt und in die katholische Christenheit bevorzugt deutschsprachiger Lande exportiert.
Die Katakomben waren reguläre Friedhöfe von enormen Ausmassen; für die Priszilla-Katakombe, aus der unser Heiliger stammt, wird die Zahl von 40 000 Gräbern in einem Gangsystem von 13 km Länge genannt. Die Wahrscheinlichkeit, unter den fast ausnahmslos anonymen Toten auf einen wirklichen Märtyrer zu stossen, ist so hoch wie die, im Lotto mit Zusatzzahl zu gewinnen; und wenn, dann erfährt nie jemand, dass das einer war. Was folgt daraus? Ob der Besitzer (oder die Besitzerin?) unserer Alexanderknochen eines absolut unwahrscheinlichen heiligenden Märtyrertodes gestorben ist, ist nicht zu erfahren. Wir wissen nicht einmal, ob er oder sie christlichen Glaubens war. Ob Kardinal Ginetti, der auf dem Bild in der Münstersakristei, im Jahr 1650 wusste, was er den beiden Bobbele da mitgab, ist unbekannt; sicher hat er mit der Weitergabe von erfundenem Namen und erfundener Kürzestbiographie gelogen.
Wie dem auch sei, im 19. Jahrhundert kamen in Rom Zweifel auf, und im Jahr 1878 wurden die katholischen Bischöfe von einer römischen Stelle zu Skepsis gegenüber diesen Reliquien aufgefordert. Die entsprechende Post kam in Freiburg wohl nicht an, denn drei Jahre später wurde dem Alexander noch der schöne neogothische Altar in seine Kapelle gestellt.
Ein gutes Jahrhundert später wehte auch in Freiburg ein anderer Wind: Im Jahr 1990 muss der Hl. Alexander aus seiner Kapelle weichen, dem Allerheiligsten Platz machen und wird mitsamt seinem Altar in die Suter-Kapelle im spätgotischen Chorumgang ausgelagert. Und er wird auch nicht mehr öffentlich gezeigt. Wenn man freundlich fragt, darf man ihn angucken und fotografieren, dann wird er wieder weggesperrt. Aber sein Standbild auf der Pestsäule haben sie 2015-17 sehr schön restauriert.
Der Ministrant ist und bleibt ein Düpflischiiser (= Korinthenkacker). Angesichts dieser Sachlage fühlte er sich nämlich vom Münstermanagement betrogen; das müsste die Knochen samt Halbedelsteinen als religiös unbedeutendes Kulturobjekt dem Augustinermuseum schenken und den Heiligen-Alexander-Unfug beenden. Denn ein nicht existierender Heiliger hat einen GEQ (= GebetsErhörungsQuotienten) von bestenfalls Null. Da sagte der spottende Tor zu ihm: Was wollen Sie? Der Heilige Alexander ist doch aus demselben Material wie alle anderen im Münster, die Engel, die Heiligen, die Madonna, der Herr Jesus – sie sind alle aus dem Stoff, aus dem die Träume sind. Der Ministrant entgegnete, der wöchentliche friedliche Umgang mit ihm in der Redaktionskonferenz sei für ihn selber eine ständige Übung in christlicher Nächstenliebe für Fortgeschrittene.