Irgendwann nach 300 v. Chr. gab es im jüdischen Weltbild einen bemerkenswerten Neuzugang: den Teufel persönlich als personifiziertes Böses, das sich mit Gott im kosmischen Clinch befindet. Zum Thema „Teufel“ gab es hier schon schöne Bilder (Miniaturen Teufel I bis V). Seine Wiege stand vermutlich im Iran. Sein Auftreten war revolutionär, die Welt wurde apokalyptisch. Bis damals hoffte man mit Jesaja und Co. auf einen Retter Israels, der die Dinge definitiv im Interesse Israel regeln würde, aber hier auf Erden. Jetzt begann man zu glauben, möglicher Weise aufgrund iranischer Vorbilder, es komme zu einem kosmischen fulminanten Endkampf, bei dem natürlich Gott siegen würde, und der stehe nahe bevor, verbunden mit einem universalen Gericht. Und Brennpunkt des Ganzen sei die Wiederherstellung der Pracht Israels – als Herrin der Welt, jetzt wirklich auf immer und ewig. Das heisst: Auf die genuin jüdische Hoffnung auf einen Retter, der die Versprechen Gottes einlösen würde, traf die iranstämmige dualistische Weltsicht mit dem personifizierten Bösen und der Erwartung eines finalen Götterkampfes, und daraus erwuchs die spezifische Apokalyptik im Judentum der hellenistischen Zeit. Es gab unterschiedliche Ausformulierungen solcher Visionen.
In der Bibel befindet sich nur das Buch Daniel, um 165 v. Chr. geschrieben, mit einer solchen Vision; daneben haben wir das in Teilen einiges ältere Buch Henoch, zu grossen Teilen auch in Qumran gefunden, und dort finden sich weitere diesbezüglich interessante Texte. Wichtig sind auch die in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts v. Chr. geschriebenen Psalmen Salomons Nr. 17 und 18. Die letztgenannten Texte werden nicht zur Bibel gezählt.
In den finalen Kämpfen dieser Bücher gibt es unterschiedliche Protagonisten. Bei Daniel heisst er „Menschensohn“. (Bei Daniel gibt es zwar einen „gesalbten König“, aber er ist nicht der Vorkämpfer Gottes, der uns hier interessiert.) In anderen Texten werden unterschiedliche Gestalten als „Gesalbter des Herrn“ bezeichnet. Bei Henoch beispielsweise wird der dort ebenfalls auftauchende „Menschensohn“ auch „Gesalbter“ genannt, der auf dem Thron der Herrlichkeit zum Gericht Platz nimmt. In Texten aus Qumran, die den Essenern zugeschrieben werden, einer zur Zeit Jesu starken religiösen Gruppierung, sind es Priesterfiguren, die so heissen. In den Psalmen Salomons ist „der Gesalbte“ ein Spross Davids, ein König, der endgültig für Ordnung sorgt, die Sünder bändigt und die Heiden unterwirft; interessant sind die starken Anklänge an den biblischen Psalm 2, mit teilweise wörtlichen Entsprechungen; man kann annehmen, dass auch dieser alte Königspsalm damals als Prophezeiung eines künftigen davidisch-königlichen „Gesalbten“ umgedeutet wurde.
Das heisst, es gab zur Zeit Jesu eine Mehrzahl von Vorstellungen bezüglich des von vielen erwarteten Retters Israels, der von vielen als Messias bezeichnet wurde. Die Stellenbeschreibung dieses Messias war aber keineswegs so klar und eindeutig, wie es die neutestamentlichen Schriften suggerieren.
Von dem endzeitlichen Helden-Richter der genannten Apokalypsen gibt es natürlich keine Bilder im Münster. Wohl aber von der christlichen Version, wie sie sich dann in der Offenbarung des Johannes niedergeschlagen hat, so hier in diesem Fenster, das sich im rechten Seitenschiff befindet. Es zeigt bedrohlich und tröstend Jesus Christus als Weltenrichter. Aus seinem Mund gehen das verderbliche Schwert für die Sünder zu seiner Linken (d.h. für uns rechts) und die Lilie der Liebe für die Gerechten auf der anderen Seite hervor. Er zeigt seine Wunden, Grund und Legitimation seines Amtes. Links vom Richter erschallen die Posaunen zum Gericht und die Toten stehen auf, rechts fahren die Verdammten in die Hölle. – Dieser Ausschnitt ist wie das ganze Fenster in einem eigenartigen Stil gestaltet. Es ist das „Konstanzer Fenster“, kam also erst im 19. Jahrhundert nach der Auflösung des Bistums Konstanz in die neue „Kathedrale“ nach Freiburg. Diese Scheiben sind um 1430 in einer Ulmer Werkstatt entstanden, wie wir von Frau Mittmann in ihrem Glasfenster-Buch erfahren.