Für die Jesusbewegung war es offensichtlich ungeheuer wichtig, dass Jesus „der Messias“ war; schon der erste Satz des historisch ersten Evangeliums, des Evangeliums nach Markus, formuliert plakativ diesen Anspruch. Aber es gab, wie gesagt, gar kein einheitliches Messiasbild, und keinem der angebotenen Bilder entsprachen Person und Leben Jesu, vor allem nicht sein Tod. Sagt der Historisch-Kritische. Weiter sagt er:
Die Eindeutigkeit des Messiasbildes des Neuen Testaments kam dadurch zustande, dass die Akteure der ersten bzw. zweiten Jesusbewegung, also Jesus und seine Gesprächspartner bzw. die nachösterlichen Akteure, ein neues Messiasmodell entwickelten, das sie aber als traditionell darstellten. Sie nahmen den königlichen Davidssohn-Messias, der eher konventionell war, und erweiterten ihn mit dem schon etwas überraschenden Friedensfürsten des Jesaja und fügten dem, um das Paradox voll zu machen, den leidenden Gottesknecht des Deutero-Jesaja hinzu. Der Titel „Menschensohn“ mit seinen Endgerichtsassoziationen wurde ebenfalls übernommen, der Messias des Neuen Testaments ist auch der endzeitliche Gotteskämpfer und Richter aller Menschen. Von kardinaler Bedeutung war dabei der „leidende Gottesknecht“, denn nur so konnte der schreckliche Tod Jesu als integraler Bestandteil seiner „messianischen“ Sendung gedeutet werden. Diese sehr originellen Weiterungen präsentierten einen neuen Messiastyp, dessen Neuheit nicht erwähnt wurde, der vielmehr als so im Alten Testament prophezeit dargestellt wurde. Und seine hundertprozentige Realisierung war dann Jesus. Da keift der spottende Tor dazwischen: Und wenn etwas immer noch nicht passte, dann schraubte man etwas an der Biographie Jesu herum und liess ihn beispielsweise kontrafaktisch in Bethlehem, der Davidsstadt, zur Welt kommen.
Der Ministrant sieht das ganz anders: In Jesus wurde die ganze Fülle des erhofften, durch die Propheten versprochenen Messias, den Gott der Welt schenken wollte, zugleich geoffenbart und verwirklicht als „gesalbter“, also von Gott erwählter, autorisierter und eingesetzter Erlöser.
Hier ein weiteres von den zahllosen Christusbildern des Münsters. Für diesseitige Augen hat Jesus so geendet wie auf diesem Bild dargestellt, als antirömischer Aufrührer am Kreuz. Leute, die sagen, sie sähen mehr, sehen, dass das der eigentliche Beginn des zweiten Teils seiner Karriere war als Messias, das heisst als Christus, als endzeitlicher Retter.
Diese Darstellung der Kreuzigung übersieht man im Münster leicht, weil sie sich fast am hintersten Ende des Chorumgangs ganz im Düsteren befindet, im Innentympanon des Schöpfungsportals. Das Münstermanagement geizt hier mit Licht. Trotz oder wegen des merkwürdigen Parlerstils um 1360 berührt die unendliche Ohnmacht dieses leidenden Menschen sehr.
A propos Parlerstil: Man hat in Freiburg überzeugende Argumente für die Annahme, der erste Baumeister des spätgotischen Chors, der auch den Wiederaufbau des Basler Münsters nach dem Erdbeben von 1356 geleitet hat, Johannes von Gmünd, sei ein Mitglied der berühmten Parler-Familie.