Maria auf dem Prunkbett

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Dem Jesulein scheint er nicht zu schmecken, der angebotene Busen seiner Mama. Oder ist sein Flunsch der Effekt mehrerer Restaurierungen des Fensters?

Die Scheibe gehört ins Märtyrerfenster und ist heute nach gelegentlichen Umzügen im linken Vierpass oberhalb der scheußlichen Gewaltexzesse, die dem Fenster seinen Namen geben, gelandet.  Phöbe, unsere neue Teilzeitredaktionspraktikantin, hat herausgefunden, wie gross die Scheibe ist: Das Fastquadrat mit der Mutter-und-Kind-und-Viehzeug-Szene misst 58 auf 61 cm. Hergestellt wurde das Fenster  in den Jahren 1270/75.- Phöbe ist übrigens Bachelor-Studentin der praktischen Theologie, aktiv bei Maria 2.0 und davon träumend, in mittelferner Zukunft Pfarrerin von St. Martin zu sein.

Phöbe ist auch sonst angenehm aufgefallen. Sie hat die bisherigen Miniaturen angeschaut und auch ein bisschen in unserem  Fotoarchiv gestöbert.  Und dabei  fiel ihr auf, dass dieses Bildmotiv noch zweimal im Münster vorkommt: Zum einen im Tympanon des inneren Turmportals (Ausschnitt in der Miniatur „Austausch von Zärtlichkeiten II“), zum anderen in der Scheibe des Schmiedefensters, wo das Jesuskind bedrohlich zwischen Ochs und Mutter zu schweben scheint (Miniatur „Der Prophet Jesaja an der Krippe“). Auf beiden Darstellungen liegt Maria nicht im Stall auf einer provisorischen Campingliege oder so was, sondern auf einem Prunkbett, wie es in der ganzen bisherigen Weltgeschichte noch in keinem Stall gestanden hat, mit auffallend hohem Kopfteil und einem grossen Kissen unter dem Kopf. Und sie hat auch keine einfache Reisekleidung an, sondern ist hochherrschaftlich gewandet wie eine Adlige, eine Königin. Wenn man genau hinschaut, liegt Maria auch auf diesem Bild hier auf einem hochherrschaftlichen Möbel mit sehr hohem Kopfteil mit Kissen unter dem Kopf  und ist herrschaftlich gekleidet.  Allerdings sind die etwas derben nackten Füsse nicht ganz so ladylike. – Hier und im Tympanon sinnt Josef seiner bemerkenswerten Rolle in der Heilsgeschichte nach (keiner von uns hätte mit ihm tauschen wollen, auch Phöbe nicht), im Schmiedefenster ist er ersetzt durch den Propheten Jesaja. Und auf allen drei Darstellungen  Ochs und Esel, die Jesaja prophezeit habe als Zeugen der Präsenz Gottes hier und jetzt, wie man damals geglaubt hat (vgl. Miniatur „Ochs und Esel an der Krippe“).

Der Ministrant hat letzthin beim Antiquar auf dem Münsterplatz ein wunderschönes Marientext- und –bilderbuch gekauft. Und darin fand er die Wiedergabe einer Buchminiatur des frühen 14. Jahrhunderts  vom Bodensee sowie ein Bild aus einer norwegischen Stabkirche (undatiert) mit exakt genau denselben Details: Maria auf einem Prunkbett mit hoher Kopflehne und grossem Kissen unter dem Kopf, prächtig gekleidet, Jesuskind im Arm, besinnlicher Josef daneben und hinter allem Ochs und Esel.

Es scheint ein eigener Bildtypus gewesen zu sein um 1300 herum. Der Ministrant meinte, er hat das grösste Paradox der Himmels- und Weltgeschichte abgebildet, die Menschwerdung Gottes  im Stall und doch im königlichen Bett. Er erzählt keine Geschichte, sondern verkündet eine Wahrheit. Es sei ein besonders schönes Bild zu Weihnachten, meinte der Ministrant,  und er und Phöbe lächelten einvernehmlich. Fast sah es so aus, als wäre der Tor ein bisschen neidisch.

Hier noch der Zusammenhang, in dem die wunderschöne Scheibe im Maßwerk oberhalb der Langbahnen des Märtyrerfensters steht:

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