Isai

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Nun ein alter, schlafender Mann. Er befindet sich unscheinbar und leicht zu übersehen zu Füssen der Herzmitte der Turmhalle, der Trumeau-Madonna mit dem Jesuskind auf dem Arm. Die Madonna mit ihrem Kind basiert sozusagen auf ihm. Damit legt sich nahe, dass er ungeheuer wichtig sein könnte.

Und das ist er auch, wie uns der Ministrant erläutert: Er ist nämlich Jesse, auch Isai genannt, der Vater Davids und damit der Vorfahr der ganzen Abstammungslinie des „Hauses David“. Und aus diesem Haus, so wissen manche Zeitgenossen Jesu, wird der „Gesalbte“, der erhoffte „Messias“, kommen. Und der Prophet Jesaja hebt direkt auf Isai ab, wenn er von dem kommenden Heilsbringer spricht: „Und ein Spross wird hervorgehen aus dem Stumpf Isais, und ein Schössling aus seinen Wurzeln wird Frucht bringen“ (11,1). Und Jesus kommt aus diesem Haus, wie seine beiden Stammbäume (Mt 1,1-16 und Lk 3,23-38) zweifelsfrei beweisen. Und so ist er als der eschatologische Heilbringer legitimiert.

Und so sangen unsere Altvorderen: „Es ist ein Ros‘ entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter…“ Und aus unserem alten Mann wachsen rechts und links eine Blätter- und eine Rosenranke heraus und in die Höhe, an der Lieben Frau und dem Kind vorbei und hoch und um den ganzen Tympanon herum und umfassen so die ganze Erlösungsgeschichte.

Die zwei Stammbäume Jesu, die seinen Messiasanspruch über seine Abkunft von David und Isai beweisen, sind völlig unterschiedlich. Aber das mache nichts, hatte man dem Ministranten vor langer Zeit gesagt, denn das erkläre sich aus diversen Knoten in diversen Abstammungslinien zwischen dem kinderreichen David und dem als Vorfahr Jesu beide Male genannten Josef. Der war allerdings genau genommen nicht der Vater, sondern nur ein guter väterlicher Freund Jesu bzw. seiner Mutter, hat der Ministrant gelernt. Nach dem letzten Krieg hätte Jesus den Josef „Onkel“ genannt. Aber das macht auch nichts, was die Davidssohn-Legitimation angeht. Und das hat, wie man ihm sagte, mit dem jüdischen Abstammungsrecht zu tun, was den Ministranten überzeugt, obwohl er es nicht versteht. Und der spottende Tor hat bei ihm keine Chance mit seiner absolut unbewiesenen These, beide Stammbäume stammten vermutlich aus einer Zeit, als die Theorie der Jungfrauengeburt sich neben der, wie er meint, älteren Davidssohntheorie noch nicht durchgesetzt hätte; deswegen die Argumentation mit dem Davidssohn Josef.

Hier noch das grössere Ganze, in dem Isai steht oder vielmehr ruht, der Trumeau, d.h. der Pfeiler zwischen den mächtigen Portaltüren des Haupteingangs des Münsters in der Turmhalle.

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