Selige Franziskaner – oder die Köpfe hinter den Bildern?

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Wir befinden uns wieder im Turmhallentympanon,  das zwischen 1280 und 1290 geschaffen wurde. Im ersten Register in der zweiten Zeile von unten finden wir die auferstehenden Gerechten zur Rechten des Gekreuzigten, links von ihm von uns aus gesehen. Hinter  den Auferstehenden stehen vier Mönche,  völlig angezogen, einer davon im Priestergewand, als läse er die Messe. Experten haben sie eindeutig als Franziskaner identifiziert.

Nach Meinung des Ministranten waren die Franziskaner  ein gutes halbes Jahrhundert nach  ihrem Auftreten in Freiburg –  1229 noch ausserhalb der Stadt, ab 1246 in St. Martin – sehr wohl gelitten, wenn  vier ihrer Mitbrüder zwischen den auferstehenden Seligen sich tummeln, und kein einziger unter den Verdammten; bei den Päpsten hat es ja einer nach drüben geschafft.

Der Tor sieht das anders; er meint, die bettelnden Herren hätten sich schnell eine sehr einflussreiche Position in Freiburg verschafft. So hätten sie dafür gesorgt, dass sie im Münster in bestem Licht erschienen, auch wenn sie sich scheinbar bescheiden etwas im Hintergrund hielten. Man vergleiche: Unter den Auferstehenden und Auferstandenen seien sie die Kategorie, die am üppigsten vertreten sei. Zwei Päpste, und davon geht einer zum Teufel, dasselbe mit den Königen. Aber vier Franziskaner, und alle vier auf der Gewinnerseite. Vermutlich hätten sie das nur gekonnt, weil sie bei der theologischen Konzeption des Tympanons oder der ganzen  Turmhalle kräftig mitgemischt hätte.

Der Historisch-Kritische geht noch einen Schritt weiter mit folgender Argumentation: Die vier Mönche stehen hinter den auferstehenden Gerechten. Sie stören die Komposition. Zum einen: Identifizierbare Kategorien von Menschen sind auf der Sünder- und Gerechtenseite je einmal vertreten, die Franziskaner jedoch vierfach und nur auf der Seite der Gerechten. Zum zweiten: Auf dieser Ebene der Erzählung von den Letzten Dingen sind die Menschen unbekleidet oder ziehen sich erste Kleidungsstücke über. Hier wäre ein nackter Franziskaner zu erwarten, wie im „Jüngsten Gericht“ des Hotel-Dieu in Beaune, eindeutig identifizierbar an seiner Tonsur. Die Mönche hier sind voll angezogen und passen deswegen eher eine Zeile höher zu den bekleideten Seligen, aber nicht hierher. Zum dritten: Einer der Franziskaner ist angekleidet für die Feier der Messe, er trägt eine Kasel; aber an diesem Punkt der Heilsgeschichte, bei der Wiederkunft Christi, gibt es keine Messe mehr (vgl. 1 Kor 11, 26). Zum vierten: Sie stehen in zweiter Reihe hinter den Auferstehenden in einer eigenen Bildebene, und eine solche zweite Bildebene gibt es im ganzen übrigen Tympanon nicht. Insgesamt ergibt sich: Die Vier fallen aus der Rolle von Auferstehenden und aus dem Rahmen des Tympanon, sie stehen auf einer anderen Ebene. Auf einer Metaebene vielleicht, auf der eine andere Geschichte erzählt wird?

Dem stimmt die ganze Redaktionskonferenz zu: Die Gestalten im Vordergrund dieser zwei Zeilen erzählen die Geschichte von der Auferstehung des Fleisches. Die vier Mönche dahinter erzählen eine andere Geschichte, die von der Entstehung des Tympanon und der gesamten Turmhallenfiguren. Stifterfiguren sind es nicht; der plastische Schmuck der Vorhalle kostete sicher sündhaft viel Geld, was ein Franziskaner- Konvent nicht aufbringen konnte. Und wenn er es gekonnt hätte, hätte es nicht zum Image der frommen Bettler gepasst. Aber sie hatten etwas anderes zu bieten: Theologischen Sachverstand. Die Steinmetze waren geniale Steinmetze, aber keine Theologen. Die vier sind wahrscheinlich die genialen theologischen „Programmgestalter“ hinter den Steinmetzen, von denen  Morsch in seinem Buch über die Turmhalle spricht. (Dieter Gerhard Morsch, Die Portalhalle im Freiburger Münsterturm, Münster 2001). Und auf der Gewinnerseite stehen sie zu recht: Dafür, dass sie uns diesen wunderschönen Raum geschenkt haben, haben sie den Himmel verdient.
Um die bedeutende Rolle der Franziskaner bei der Konzeption der Turmhalle  zu beweisen, müssten der Tor und der Historisch-Kritische  jetzt die theologische Konzeption der Halle, wie sie Morsch in seinem Turmhallenbuch  in sehr überzeugender Weise rekonstruiert, mit der franziskanischen Spiritualität der frühen Jahre dieses Ordens vergleichen; aber sie weigern sich und sagen, das sei ihnen zu viel und zu fromm. Der Tor befürchtet sogar eine Allergie. – Wer weiss, vielleicht schreibt darüber unsere Teilzeitpraktikantin Phöbe ihre praktisch-theologische Masterarbeit.

Und hier noch der Kontext: In diesem Ausschnitt, der das  unterste linke Register des Tympanon grossenteils zeigt, stehen die Herren bescheiden oben links.

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