Die kostbar gewandete Gestalt ist etwas rätselhaft, wie sie in der untersten Zeile des Turmhallentympanons so dasteht am Kopfende des Prunkbettes, auf dem Maria ruht, während die Menschwerdung Gottes verkündet wird. Kluge Leute sagen, es sei die Kirche. Aber was soll die Kirche an der Krippe? Aber das ist es eben, es ist gar keine Krippe hier und es wird nicht die Geschichte von der Geburt des Jungen namens Jesus erzählt, es geht vielmehr um die Wahrheit der Menschwerdung Gottes (das wurde schon in zwei Miniaturen angesprochen: „Der Prophet Jesaja bei der Jungfrau Maria“ und „Maria auf dem Prunkbett“), und da hat die Kirche ihren Platz als Grösse, in der die Menschwerdung die Menschen erreicht. Jesus nennt seine Jünger und damit die Kirche das „Licht der Welt“ (Mt 5, 14), und deswegen hat sie einen grossen Leuchter in der Hand mit einer ellenlangen Kerze, die gar nicht auf unseren Bildausschnitt passt. Das erklärt uns Phöbe, unsere eifrige Teilzeitredaktionspraktikantin.
Wir sind uns in der Redaktionskonferenz einig: Zur Zeit ist sie kein strahlendes Licht, sondern eher selber unterbelichtet. Und wir sind mehrheitlich traurig, dass der angebliche Reformpapst Franziskus anlässlich der Amazonasprobleme wieder nichts unternimmt, um die leidigen Themen „Frauen und Amt“ und „Zölibat“ ein bisschen vom Eis zu bringen. Da versucht der Tor, uns sonderbaren Trost zu spenden: Dass die ewig Gestrigen in der Kirche Reformen verhindern, mache den Kohl auch nicht mehr fett, es sei eh alles verloren. Er meint, es sei fast wie beim Klima: Da könnten alle nicht mehr fliegen, kein Auto fahren, keine Wohnung heizen, kein Fleisch essen, nicht mehr atmen. Aber die Erderwärmung mit all ihrer unkontrollierbaren Eigendynamik sei längst Selbstläufer. Und bei der katholischen Kirche sei es ähnlich. Da könnte der Papst dekretieren, dass nur noch jede vierte Päpstin männlich sein dürfe und dass Priester einen Harem zu bilden hätten, das änderte nichts an der Sache, dass das Produkt, das Kirche am Weltanschauungs- und Freizeitmarkt anbiete, kaum mehr Abnehmer finde; kaum einer suche mehr Erlösung aus Sünde und Schuldverstrickung und Tod durch einen zu Tode geschundenen Gott, und das sei ja eigentlich die Kernkompetenz der Kirche, auch wenn es überhaupt nicht mehr an die grosse Glocke gehängt werde. Das übrige Pipapo, Gemeinschaftserleben, Ehrenamt für Hyperaktive, seid nett zueinander und gut zu den Tieren, gebe es auch bei der Freiwilligen Feuerwehr oder beim Buddhismus, ohne dass da einer einen blöd anmache, wenn er zum zweiten Mal heirate. In zwei bis drei Generationen sei katholische Kirche in Deutschland nur noch vorhanden in Form von ein paar Dutzend erzkonservativen Gemeinden im Umfeld von Missionsstationen aussereuropäischer Bistümer.