Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie wären Zoologi/en und würden auf einer Wanderung durch den Hochschwarzwald plötzlich einem längst ausgestorben geglaubten Tier begegnen; Ihnen würde beispielsweise ein Zwergdinosaurier über den Weg huschen. Ihr Glücksgefühl wäre sicherlich unbeschreiblich. So ging es dem Historisch-Kritischen unlängst, wie er in der Redaktionskonferenz berichtete. Er sass auf der schönsten Loggia Freiburgs, den westlichen Münsterplatz zu Füssen, einen Cappuccino vor sich. Er kam mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch und erwähnte beiläufig „die Jungfrau Maria mit dem Kind auf dem Arm“ auf der Patronatssäule vor dem Münsterportal. Das war ein Schlüsselreiz für den Ehemann, pensionierter Religionslehrer. Er schoss los in einer aggressiven Tirade gegen diesen katholischen Unfug der Jungfrau mit Kind. Der Historisch-Kritische erschauderte wonnig: Es gibt sie noch, die ausgestorben geglaubte Gattung des strammen Protestanten im wörtlichen Sinn, der ein wesentlich Teil seiner religiösen Identität aus dem Protest gegen katholischen Aberglauben bezieht.
Und damit waren wir in der Redaktionskonferenz bei der Reformation und der Frage, welche Spuren sie am Münster hinterlassen hat. Gott sei Dank gab es hier, anders als in Basel, keinen Bildersturm. Sonst – fast Fehlanzeige, was nicht verwundert, denn 1517, als die Reformation manifest wurde, war das Münster weithin fertig, lediglich am spätgotischen Chor und Chorumgang mit seinen Kapellen wurde noch gearbeitet.
Und tatsächlich, hier findet sich ein vielfach amüsierender Niederschlag reformatorischen Treibens, ein Wasserspeier an der Nordostseite des Chors, an Bekannt- und Beliebtheit beim Publikum die Nr. 2 unter den 91 Wasserspeiern des Münsters. Er zeigt eine alte Frau in einer groben Kutte, eine Ordensfrau offensichtlich. Sie fasst mit einem Finger in ihren leicht geöffneten Mund. Was macht sie da?
Diese Frage beantwortet Frau Wissmann in ihrem Büchlein über die Wasserspeier. Die Dame ist Mitglied eines Klosters, das auf reformatorischen Druck hin aufgelöst wird. Dabei wird gesagt: Wer noch Zähne hat, kann heiraten. Sie hat noch einen Zahn, und den sucht sie mit ihrem Finger und weist ihn vor: Sie ist heiratsfähig, meint sie. – Katholisches Witzeln, meint Phöbe, unsere Teilzeitredaktionspraktikantin, über eitles Hoffen einer „ausgesprungenen“ Nonne, noch späte Liebe zu finden – oder einfach nur darauf, durch die eheliche Versorgung vor dem drohenden Elend als alleinstehende alte Frau bewahrt zu werden. Gar nicht sonderlich lustig, oder?