Das ist Gott Vater aus dem Hochaltarbild, das die Krönung Marias zur Himmelskönigin zeigt. Dieses etwas trübsinnig sinnierende Altmännergesicht gab reichlich Stoff für Diskussionen in der Redaktionskonferenz. Da ist zum einen dieser etwas mürrische Blick, völlig unpassend zum Anlass; hier muss man eigentlich jubilieren (wie es die vielen Putten auf dem Bild tun), weil der Himmel eine First Lady bekommt. Und Gott Vater müsste das doppelt und dreifach tun, weil nicht irgendeine gekrönt wird, sondern die Dame, mit der er vor Jahren ein Kind wollte und auch bekam, und sowas verbindet doch irgendwie, wie der Ministrant meinte. Warum hängt der Haussegen schief? Phöbe, unsere Redaktionsteilzeitpraktikantin, formulierte eine etwas gewagte Hypothese: Maria kapierte irgendwann, was der Vater ihres Sohnes mit diesem vor hatte (Kreuzigung für das Heil der Welt). Das gefiel ihr gar nicht, sie protestierte heftig, konnte sich aber nicht durchsetzen gegen den Sturkopf von Vater. Und seitdem nimmt sie übel, und er auch.
Die zweite Irritation ging aus von der Hautunebenheit – Pickel, Warze? – auf Gott Vaters Wange. Wir wälzten theologische und kunstgeschichtliche Werke, ohne Ergebnis: Es gibt keine Theologie der Warze, und auch ikonographisch war nichts zu erfahren.
Ich telefonierte anderweitig mit Frau S., unserer streng bibelorientierten Hilfe bei Sonderfragen zum AT und NT. Beiläufig erwähnte ich unsere Probleme mit dem Bild des göttlichen alten Herrn. Obwohl auch Frau und sogar Mutter, hat sie Phöbes Hypothese in aller denkbaren Entschiedenheit zurückgewiesen, mit theologischen Argumenten. Und sie hatte eine andere mögliche Erklärung für den unpassenden Gesichtsausdruck und den unpassenden Pickel: Das Gesicht Gott Vaters ist vielleicht sozusagen ausgeliehen, es handelt sich möglicherweise um ein Portrait eines leibhaftigen würdigen alten Mannes der Zeit um 1516 (oder kurz davor). Leider haben wir dazu in den schönen Münsterbüchern nichts gefunden. Hat jemand von euch, liebe und geschätzte Besucherinnen und Besucher dieses Blogs, eine diesbezügliche Information oder entdeckt sie/er Ähnlichkeiten?
Ein weiterer Tatbestand erregte unsere Phantasie: Gott Vater trägt eine Krone, klar; aber darunter hat er eine Kappe über den Ohren. Das letzte Mal, so hat der Historisch-Kritische recherchiert, wurde eine solche Kappe getragen von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005, als ihn, wie er selber später erläuterte, fror. Es handelt sich nämlich um einen Camauro, in der Entstehungszeit unseres Bildes ein typisches Kleidungsstück des Papstes. Warum trägt Gott Vater diese päpstliche Kappe? Unser spottender Tor meinte, sicherlich friere er nicht, die nackten Putten auf dem Bild zeigten, dass der Himmel wohl temperiert sei. Es könnte vielmehr (neben dem Bild vom „geistlosen“ Petrus auf dem rechten Flügel des Hochaltarbildes) eine weitere gemalte Papstkritik sein: Der einzige wirkliche „Papst“ und Herr der Kirche sitzt nicht in Rom, sondern im Himmel, das ist nur Gott. Dagegen spricht, dass beispielsweise der ältere Zeitgenosse unseres grünen Hans‘, der das Altarbild gemalt hat, Albrecht Dürer, auch irdische gekrönte Häupter mit einem Camauro unter der Krone ausstattete, sicher keine Papstkritik.
Hans Baldung Grien malte dieses Bild in freundschaftlicher Auseinandersetzung mit einem Werk gleicher Thematik von Albrecht Dürer, dem Heller-Altar. Dürer stattete nicht den Vater, sondern den Sohn mit päpstlichen Insignien aus, und zwar gleich doppelt: Bei Dürer hat Christus einen Camauro tief über die Ohren gezogen, und darüber trägt er noch die päpstliche 3-fach-Krone, die Tiara. Hier in Freiburg fehlt die Tiara, und den Camauro trägt Gott Vater. So ist Raum für die Lockenpracht des göttlichen Sohns; aber das ist ein anderes Thema.