Dürers Lockenpracht

IMG_2638 - Kopie (2)

Das ist das eindrückliche Gesicht des göttlichen Sohnes, wie er zusammen mit seinem göttlichen Vater seine fast so göttliche Mutter, nachdem sie grade zu ihnen hoch gekommen ist („Mariä Himmelfahrt“), zur Himmelskönigin krönt.- Der Mensch schafft Gott nach seinem Bilde und den Himmel (und die Hölle) nach seiner Lebenswelt, sagt der Tor.- Gemalt hat es Hans Baldung Grien auf sein wunderbares Hochaltarbild für den Chor des Münsters, als der gerade fertig geworden war. Das Thema der Marienkrönung war seit dem Hochmittelalter sehr beliebt für Stein und Farbe, und auch Baldungs väterlicher Freund Dürer hatte sich etwa 8 Jahre zuvor – sehr erfolgreich – daran versucht mit seinem Heller-Altar (nur als Kopie erhalten). Der grüne Hans kannte ihn sehr gut, und sein Freiburger Bild lässt sich verstehen als eine geniale Variation über dieses Werk. Alles ist sehr ähnlich und doch ganz anders.

So hat auf dem Heller-Altar Gott Vater die Kugel in der Hand, Symbol der gottgeschaffenen Welt, bei uns hält sie Gott Sohn auf seinen Knien, und drin spiegelt sich das liebenswerte Gesicht seiner Mutter, des köstlichsten Geschöpfes auf der ganzen Welt.

Christus trägt hier wie dort nur einen blutroten Mantel über nackter Haut, Sinnbild der überstandenen glorreichen Leiden. Aber die Kopfbedeckungen variieren bemerkenswert: Dürers Christus hat über seinen Kopf bis tief über die Ohren einen Camauro gezogen, die damals typische Kopfbedeckung der Päpste, überragt von einer Tiara, der typischen dreifachen Krone eben dieser Herren. – Wir waren uns in der Redaktionskonferenz nicht einig: Sollte das Papstkritik bedeuten, das wahre Oberhaupt der Kirche sitzt nicht in Rom, sondern hier im Himmel? Aber auf Dürer-Bildern tragen auch andere hone Herren den Camauro. – Der Christus von Hans Baldung trägt nur eine flache goldene Krone, der Camauro ist auf dem Kopf von Gott Vater gelandet, die Tiara aus dem Bild gänzlich verschwunden. Der Effekt dieser Operation: Das kunstvoll ondulierte Haar unseres Erlösers ist nicht mehr grossenteils verhüllt und kommt voll zur Geltung.

Unser Ministrant hat beträchtliche Stücke seiner Kinderseele bis ins höhere Alter gerettet. Und so liebt er es, Bilderbücher anzuschauen. Und deswegen war er es, der sagte: Diese Frisur kenne ich. Er brachte uns eines seiner Bücher, und siehe da: Das ist die Frisur von Dürer, wie sie der Meister selber verewigt hat in seinen Selbstportraits. Besonders schön ist diesbezüglich das Bild von 1498. Hier sieht man auch gut den scheinbar nachlässig beiseite gekämmten Pony, von dem dann ein Haarbüschel unter der Krone unseres Herrn auf Baldungs Bild hervorguckt. Der Tor meinte dazu: Der grüne Hans hat die Papstkritik Dürers geschrumpft und verschoben, um auf dem Haupt unseres Erlösers die aufwändig gepflegte Lockenpracht des eitelsten Gecken, der Nürnberg im 1. Viertel des 16. Jahrhunderts unsicher gemacht hat, ausbreiten zu können.

Der Historisch-Kritische hatte bisher geschwiegen. Jetzt schlug er gnadenlos zu. Ihm war aufgefallen, dass der Christus von Dürer ebenso wie Dürer selber einen gepflegten Schnurrbart aufweisen, der Christus des Baldung aber eine glatt rasiert Oberlippe hat. Einen Kinnbart besitzen jedoch alle drei, wobei Hans Baldung den Kinnbart Dürers seinem Christus angemalt hat. Warum hat der grüne Hans den Schnurrbart Dürers unterschlagen? Die diesbezügliche Hypothese des Historisch-Kritischen fanden wir alle grenzwertig, aber er bestand darauf, sie zur Diskussion zu stellen. Hier ist sie also: In einem Katalog zu einer Ausstellung 2007 mit Werken von Hans Baldung fand er den Brief eines Kunden Dürers zitiert, im Sommer 1507 geschrieben. Der hatte eine Zeichnung bestellt, aber Dürer lieferte nicht. Des Kunden Erklärung (im Original lateinisch):  “Das Hindernis ist sein Bocksbart, der zweifellos jeden Tag, der da kommt, gewellt und gekräuselt werden muss. Aber ich weiss, dass sein Knabe seinen Bart verabscheut; also sollte er lieber vorsichtig sein und sich rasieren.“ Der Katalog spekuliert vorsichtig, ob der Knabe Hans Baldung war, damals immerhin erst Anfang der Zwanzig und sicher in einem besonderen Verhältnis zu Dürer stehend. Dann, sinnierte der Historisch-Kritische, hat der Briefschreiber sich vielleicht geirrt und nicht der Kinnbart, sondern der Schnurrbart hat den Knaben geärgert. Und wie er jetzt beim Malen des Christuskopfes für Freiburg Herr über Dürers Frisur war, liess er den Schnurrbart einfach weg. Wir fragten uns, ob bei einer angestrebten Veröffentlichung diese These die Peer-Review überstehen würde.

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