Engelgeflügel

IMG_2640 - Kopie (3)

Im letzten Sommer im Freiburger Stadtgarten las der Tor auf einem T-Shirt die tiefschürfende Frage: „Sind Engel Geflügel?“ Hätte der junge Mann sich acht Minuten Zeit genommen und wäre ins Münster vor den Hochaltar gegangen, dann hätte er erfahren: Ja sicher. Das wunderschöne Gemälde, das – wie könnte es im Münster anders sein? – die Krönung Marias zur Himmelskönigin zeigt, wimmelt nur so von winzigen, quirligen, musizierenden und sonstigen Unfug machenden kleinen geflügelten Engeln, sogenannten Putti oder Putten. Was sich Hans Baldung genannt Grien gedacht hat, wie er sie auf seinem Meisterwerk zu Ehren der Jungfrau in der Art und so zahlreich versammelte, bereitete der Redaktionskonferenz viel Kopfzerbrechen.

Die Evolution birgt Rätsel und Überraschungen: Aus dem stolzen Wolf entwickelte sich der Minihund Chihuahua, aus dem furchtbaren Flugsaurier das Kolibri, und aus dem Engel mit dem Flammenschwert an den verschlossenen Toren des Paradieses der Putto. Bei der letztgenannten Entwicklung wurde allerdings Artfremdes, vermutlich mittels Genmanipulation, eingekreuzt: heidnische Amoretten.

Die Amoretten haben einen ruchlosen Ursprung, nämlich die Göttin Venus: Venus war sehr schön, aber keineswegs ihrem Gatten Vulcanus sehr treu, und so wurde sie einmal vom Kriegsgott Mars schwanger, und das Kind war Amor, der – wie der Tor meint – schreckliche Liebesgott. In der antiken Kunst erst als junger Mann dargestellt, wurde er immer häufiger zum nackten Kind, und aus von der Kunstgeschichte nicht erklärtem Grund irgendwann vervielfältigt. Und so hatten wir schon in der Antike die „Amoretten“, kleine, nackte, Pfeil-und-Bogen schwingende, häufig geflügelte Liebesgöttchen. Den Künstlern der Renaissance, erst in Italien, dann auch in Deutschland, machten sie viel Spass in ihrer ursprünglichen Bedeutung – und schwirrten bald, ohne Pfeil-und-Bogen, sozusagen getauft auch durch religiöse Darstellungen und schulten dabei um auf Engel in der Spezialform des Putto (ital. = Knäblein). Im Barock schliesslich hatte ihr Auftreten pandämischen Charakter. Die dichte Bevölkerung unseres Hochaltars durch diese Neophyten ist ein sehr schönes Beispiel dieser neuen künstlerischen Mode, und wir finden keine Erklärung für diese Sakralisierung eigentlich sehr profanen Geflügels.

Natürlich sind sie auf unserem Bild zum Musizieren da. Phöbe fand einen Aufsatz von Frau Sabine Söll-Tauchert, in dem die Instrumentierung dieser Rasselbande, mehr als 65 Kerlchen, ausführlich besprochen wird. Die Engelchen bilden eine veritable hochherrschaftliche Hofkapelle, erweitert um einige Sachen zum Krachmachen. Überlegungen der Redaktionskonferenz, was sie wohl spielen – nach Karl Barth spielen die Engel Bach, wenn sie vor Gott ein Konzert geben, und wenn sie nur für sich aus Spass an der Freud spielen, wählen sie Mozart, hier spielen sie aber auch für die Jungfrau, was Monteverdis „Marienvesper“ wahrscheinlich machen würde – wurden schnell aufgegeben, als wir uns bewusst machten, wie die Herrschaften auftreten. Nicht in Frack mit Fliege, sondern überwiegend splitterfasernackt, keine geordneten Sitzreihen und veritalber Blödsinn, den sie nebenbei machen. Kenner meinen, wenn diese Instrumente alle gleichzeitig zum Einsatz kommen wie auf dem Bild, dann klingt das sicher gar nicht melodisch. Fans der Basler Fasnacht denken hier an eine Guggemusik.

Engelorchester waren seit der Spätgotik modern, aber das waren ausgewachsene Kerle, wie noch am Isenheimer Altar zu sehen. Musizierende Putti waren dann Sache der Renaissancekünstler schon vor Hans Baldung, so des älteren Cranach und auch Dürers. Letzterer spielte eine besondere Rolle im Vorlauf zu unserem Altar. Im Jahr 1509 stellte er für einen Frankfurter Geldsack, der sich so und auch sonstwie den Himmel kaufen wollte, ein Altarbild fertig. Es hatte das damals sehr populäre Thema der Himmelfahrt Marias und ihrer Krönung zur Himmelskönigin und war das Retabel des sogenannten Heller-Altars (leider nur noch in einer Kopie aus dem Jahr 1613/14 erhalten). Bei seinem Freiburger Meisterwerk mit dem Thema der Krönung bezieht sich Hans Baldung auf dieses Bild, es respektvoll-respektlos zitierend und variierend, u.a. auch die Putten. Dürer malte wunderschöne, wirklich liebliche Putti, wohl gekleidet und manierlich, wenn auch glücklich-verspielt; sie wirken wie eine Schar Kommunionkinder. Bei dem grünen Hans wird daraus eine Horde wilder Pubertierender, die sich in fast exhibitionistischer Lust nackt und chaotisch zwischen den ernsten, würdigen himmlischen Herrschaften tummeln. Phöbe meinte, das Thema sei gekippt. Der grüne Hans war ein Schalk. Von 1513 bis 1516 wohnte er in Freiburg, um diesen wunderschönen Hochaltar für das inzwischen fast fertig gestellte Münster zu gestalten.

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