Ebenfalls an einem Pfeiler des Mittelschiffs steht er, als Apostel ebenfalls ein Pfeiler der Kirche, Matthäus. Traditionell wird ihm eine Doppelfunktion zugeschrieben: Neben seiner Tätigkeit als Apostel hat er angeblich das Matthäus-Evangelium verfasst. Heute bestreiten die Gelehrten diese Zuschreibung: Wer das Matthäusevangelium geschrieben habe, wisse man nicht. Insgesamt ist seine Gestalt ziemlich blass, er wird in den Evangelien kaum erwähnt, pikant ist lediglich, dass er angeblich ein „Zöllner“ war, was üblicherweise als Steuereintreiber im Dienst der Römer gedeutet wird; dieser Umstand soll Jesus den Vorwurf eingetragen haben, er treibe sich in schlechter Gesellschaft herum (Mt 9,9f). Auch die Legenden um ihn sind spärlich, sie wissen nicht einmal verlässlich, ob er standesgemäss als Märtyrer gestorben ist. Aber das Gesicht seines Standbildes im Freiburger Münster, gleichzeitig mit Petrus entstanden, ist markant-schön.
Autor: nikolaussidler
Maria stirbt
Irgendwann starb Maria auch mal, betrauert von den Aposteln. Ihr Sohn kam aus dem Himmel flugs hinzu, barg ihre Seele in seinen Händen und revanchierte sich so für die unzähligen Male, wo er ihr auf dem Arm sass. Bald kam dann ihr Leib auch nach, was wir am 15. August mit dem Fest „Mariae Himmelfahrt“ feiern, und dann hat er sie zur Himmelskönigin gekrönt. Das ist alles, in Stein gehauen – ausser der Königinnenkrönung, aber die können wir ja auf dem Hochaltarbild von Hans Baldung Grien bewundern – zu sehen im Tympanon des Marienportals von etwa 1365, an der Südseite des spätgotischen Chors. Neben dem Sohn, der seine Mutter wie ein Baby auf dem Arm hält, spielen zwei Engel auf ihren Musikinstrumenten. Und die Apostel, die noch gar nicht kapiert haben, dass das Ganze ein Happy End ist, stehen traurig drum herum.
Erzengel Gabriel beim Verkündigen
Er lächelt sehr freundlich, leutselig, und ist doch einer der ganz Grossen der himmlischen Heerscharen, einer der wenigen (4 oder7 ?) sehr hochgestellten, für wichtigste Missionen zuständigen Erzengel. Genauer gesagt ist es der Erzengel Gabriel bei seiner Mission zur Jungfrau Maria, bei der er ihr mitzuteilen hat, dass sie schwanger wird und ihr Junge was ganz Besonderes sein wird. In frommen Kreisen ist der Irrtum verbreitet, er habe anfragen sollen, ob sie einverstanden wäre etc., aber das stimmt nicht, er hat ihr definitiv gesagt: Du wirst schwanger, ohne wenn und aber und ohne Frage nach dem, was du willst. Er ist dabei sehr charmant, Maria kann sich über seine Umgangsformen nicht beklagen, und sie sagt, ohne gefragt zu sein, Ja und Amen. Er steht in der rechten Laibung des Hauptportals des Münsters seit etwa 1290, und neben ihm unter dem nächsten Baldachin rechts lächelt die beglückte Dame.
Engelgeflügel
Im letzten Sommer im Freiburger Stadtgarten las der Tor auf einem T-Shirt die tiefschürfende Frage: „Sind Engel Geflügel?“ Hätte der junge Mann sich acht Minuten Zeit genommen und wäre ins Münster vor den Hochaltar gegangen, dann hätte er erfahren: Ja sicher. Das wunderschöne Gemälde, das – wie könnte es im Münster anders sein? – die Krönung Marias zur Himmelskönigin zeigt, wimmelt nur so von winzigen, quirligen, musizierenden und sonstigen Unfug machenden kleinen geflügelten Engeln, sogenannten Putti oder Putten. Was sich Hans Baldung genannt Grien gedacht hat, wie er sie auf seinem Meisterwerk zu Ehren der Jungfrau in der Art und so zahlreich versammelte, bereitete der Redaktionskonferenz viel Kopfzerbrechen.
Die Evolution birgt Rätsel und Überraschungen: Aus dem stolzen Wolf entwickelte sich der Minihund Chihuahua, aus dem furchtbaren Flugsaurier das Kolibri, und aus dem Engel mit dem Flammenschwert an den verschlossenen Toren des Paradieses der Putto. Bei der letztgenannten Entwicklung wurde allerdings Artfremdes, vermutlich mittels Genmanipulation, eingekreuzt: heidnische Amoretten.
Die Amoretten haben einen ruchlosen Ursprung, nämlich die Göttin Venus: Venus war sehr schön, aber keineswegs ihrem Gatten Vulcanus sehr treu, und so wurde sie einmal vom Kriegsgott Mars schwanger, und das Kind war Amor, der – wie der Tor meint – schreckliche Liebesgott. In der antiken Kunst erst als junger Mann dargestellt, wurde er immer häufiger zum nackten Kind, und aus von der Kunstgeschichte nicht erklärtem Grund irgendwann vervielfältigt. Und so hatten wir schon in der Antike die „Amoretten“, kleine, nackte, Pfeil-und-Bogen schwingende, häufig geflügelte Liebesgöttchen. Den Künstlern der Renaissance, erst in Italien, dann auch in Deutschland, machten sie viel Spass in ihrer ursprünglichen Bedeutung – und schwirrten bald, ohne Pfeil-und-Bogen, sozusagen getauft auch durch religiöse Darstellungen und schulten dabei um auf Engel in der Spezialform des Putto (ital. = Knäblein). Im Barock schliesslich hatte ihr Auftreten pandämischen Charakter. Die dichte Bevölkerung unseres Hochaltars durch diese Neophyten ist ein sehr schönes Beispiel dieser neuen künstlerischen Mode, und wir finden keine Erklärung für diese Sakralisierung eigentlich sehr profanen Geflügels.
Natürlich sind sie auf unserem Bild zum Musizieren da. Phöbe fand einen Aufsatz von Frau Sabine Söll-Tauchert, in dem die Instrumentierung dieser Rasselbande, mehr als 65 Kerlchen, ausführlich besprochen wird. Die Engelchen bilden eine veritable hochherrschaftliche Hofkapelle, erweitert um einige Sachen zum Krachmachen. Überlegungen der Redaktionskonferenz, was sie wohl spielen – nach Karl Barth spielen die Engel Bach, wenn sie vor Gott ein Konzert geben, und wenn sie nur für sich aus Spass an der Freud spielen, wählen sie Mozart, hier spielen sie aber auch für die Jungfrau, was Monteverdis „Marienvesper“ wahrscheinlich machen würde – wurden schnell aufgegeben, als wir uns bewusst machten, wie die Herrschaften auftreten. Nicht in Frack mit Fliege, sondern überwiegend splitterfasernackt, keine geordneten Sitzreihen und veritalber Blödsinn, den sie nebenbei machen. Kenner meinen, wenn diese Instrumente alle gleichzeitig zum Einsatz kommen wie auf dem Bild, dann klingt das sicher gar nicht melodisch. Fans der Basler Fasnacht denken hier an eine Guggemusik.
Engelorchester waren seit der Spätgotik modern, aber das waren ausgewachsene Kerle, wie noch am Isenheimer Altar zu sehen. Musizierende Putti waren dann Sache der Renaissancekünstler schon vor Hans Baldung, so des älteren Cranach und auch Dürers. Letzterer spielte eine besondere Rolle im Vorlauf zu unserem Altar. Im Jahr 1509 stellte er für einen Frankfurter Geldsack, der sich so und auch sonstwie den Himmel kaufen wollte, ein Altarbild fertig. Es hatte das damals sehr populäre Thema der Himmelfahrt Marias und ihrer Krönung zur Himmelskönigin und war das Retabel des sogenannten Heller-Altars (leider nur noch in einer Kopie aus dem Jahr 1613/14 erhalten). Bei seinem Freiburger Meisterwerk mit dem Thema der Krönung bezieht sich Hans Baldung auf dieses Bild, es respektvoll-respektlos zitierend und variierend, u.a. auch die Putten. Dürer malte wunderschöne, wirklich liebliche Putti, wohl gekleidet und manierlich, wenn auch glücklich-verspielt; sie wirken wie eine Schar Kommunionkinder. Bei dem grünen Hans wird daraus eine Horde wilder Pubertierender, die sich in fast exhibitionistischer Lust nackt und chaotisch zwischen den ernsten, würdigen himmlischen Herrschaften tummeln. Phöbe meinte, das Thema sei gekippt. Der grüne Hans war ein Schalk. Von 1513 bis 1516 wohnte er in Freiburg, um diesen wunderschönen Hochaltar für das inzwischen fast fertig gestellte Münster zu gestalten.
Dürers Lockenpracht
Das ist das eindrückliche Gesicht des göttlichen Sohnes, wie er zusammen mit seinem göttlichen Vater seine fast so göttliche Mutter, nachdem sie grade zu ihnen hoch gekommen ist („Mariä Himmelfahrt“), zur Himmelskönigin krönt.- Der Mensch schafft Gott nach seinem Bilde und den Himmel (und die Hölle) nach seiner Lebenswelt, sagt der Tor.- Gemalt hat es Hans Baldung Grien auf sein wunderbares Hochaltarbild für den Chor des Münsters, als der gerade fertig geworden war. Das Thema der Marienkrönung war seit dem Hochmittelalter sehr beliebt für Stein und Farbe, und auch Baldungs väterlicher Freund Dürer hatte sich etwa 8 Jahre zuvor – sehr erfolgreich – daran versucht mit seinem Heller-Altar (nur als Kopie erhalten). Der grüne Hans kannte ihn sehr gut, und sein Freiburger Bild lässt sich verstehen als eine geniale Variation über dieses Werk. Alles ist sehr ähnlich und doch ganz anders.
So hat auf dem Heller-Altar Gott Vater die Kugel in der Hand, Symbol der gottgeschaffenen Welt, bei uns hält sie Gott Sohn auf seinen Knien, und drin spiegelt sich das liebenswerte Gesicht seiner Mutter, des köstlichsten Geschöpfes auf der ganzen Welt.
Christus trägt hier wie dort nur einen blutroten Mantel über nackter Haut, Sinnbild der überstandenen glorreichen Leiden. Aber die Kopfbedeckungen variieren bemerkenswert: Dürers Christus hat über seinen Kopf bis tief über die Ohren einen Camauro gezogen, die damals typische Kopfbedeckung der Päpste, überragt von einer Tiara, der typischen dreifachen Krone eben dieser Herren. – Wir waren uns in der Redaktionskonferenz nicht einig: Sollte das Papstkritik bedeuten, das wahre Oberhaupt der Kirche sitzt nicht in Rom, sondern hier im Himmel? Aber auf Dürer-Bildern tragen auch andere hone Herren den Camauro. – Der Christus von Hans Baldung trägt nur eine flache goldene Krone, der Camauro ist auf dem Kopf von Gott Vater gelandet, die Tiara aus dem Bild gänzlich verschwunden. Der Effekt dieser Operation: Das kunstvoll ondulierte Haar unseres Erlösers ist nicht mehr grossenteils verhüllt und kommt voll zur Geltung.
Unser Ministrant hat beträchtliche Stücke seiner Kinderseele bis ins höhere Alter gerettet. Und so liebt er es, Bilderbücher anzuschauen. Und deswegen war er es, der sagte: Diese Frisur kenne ich. Er brachte uns eines seiner Bücher, und siehe da: Das ist die Frisur von Dürer, wie sie der Meister selber verewigt hat in seinen Selbstportraits. Besonders schön ist diesbezüglich das Bild von 1498. Hier sieht man auch gut den scheinbar nachlässig beiseite gekämmten Pony, von dem dann ein Haarbüschel unter der Krone unseres Herrn auf Baldungs Bild hervorguckt. Der Tor meinte dazu: Der grüne Hans hat die Papstkritik Dürers geschrumpft und verschoben, um auf dem Haupt unseres Erlösers die aufwändig gepflegte Lockenpracht des eitelsten Gecken, der Nürnberg im 1. Viertel des 16. Jahrhunderts unsicher gemacht hat, ausbreiten zu können.
Der Historisch-Kritische hatte bisher geschwiegen. Jetzt schlug er gnadenlos zu. Ihm war aufgefallen, dass der Christus von Dürer ebenso wie Dürer selber einen gepflegten Schnurrbart aufweisen, der Christus des Baldung aber eine glatt rasiert Oberlippe hat. Einen Kinnbart besitzen jedoch alle drei, wobei Hans Baldung den Kinnbart Dürers seinem Christus angemalt hat. Warum hat der grüne Hans den Schnurrbart Dürers unterschlagen? Die diesbezügliche Hypothese des Historisch-Kritischen fanden wir alle grenzwertig, aber er bestand darauf, sie zur Diskussion zu stellen. Hier ist sie also: In einem Katalog zu einer Ausstellung 2007 mit Werken von Hans Baldung fand er den Brief eines Kunden Dürers zitiert, im Sommer 1507 geschrieben. Der hatte eine Zeichnung bestellt, aber Dürer lieferte nicht. Des Kunden Erklärung (im Original lateinisch): “Das Hindernis ist sein Bocksbart, der zweifellos jeden Tag, der da kommt, gewellt und gekräuselt werden muss. Aber ich weiss, dass sein Knabe seinen Bart verabscheut; also sollte er lieber vorsichtig sein und sich rasieren.“ Der Katalog spekuliert vorsichtig, ob der Knabe Hans Baldung war, damals immerhin erst Anfang der Zwanzig und sicher in einem besonderen Verhältnis zu Dürer stehend. Dann, sinnierte der Historisch-Kritische, hat der Briefschreiber sich vielleicht geirrt und nicht der Kinnbart, sondern der Schnurrbart hat den Knaben geärgert. Und wie er jetzt beim Malen des Christuskopfes für Freiburg Herr über Dürers Frisur war, liess er den Schnurrbart einfach weg. Wir fragten uns, ob bei einer angestrebten Veröffentlichung diese These die Peer-Review überstehen würde.
Gott Vaters Pickel
Das ist Gott Vater aus dem Hochaltarbild, das die Krönung Marias zur Himmelskönigin zeigt. Dieses etwas trübsinnig sinnierende Altmännergesicht gab reichlich Stoff für Diskussionen in der Redaktionskonferenz. Da ist zum einen dieser etwas mürrische Blick, völlig unpassend zum Anlass; hier muss man eigentlich jubilieren (wie es die vielen Putten auf dem Bild tun), weil der Himmel eine First Lady bekommt. Und Gott Vater müsste das doppelt und dreifach tun, weil nicht irgendeine gekrönt wird, sondern die Dame, mit der er vor Jahren ein Kind wollte und auch bekam, und sowas verbindet doch irgendwie, wie der Ministrant meinte. Warum hängt der Haussegen schief? Phöbe, unsere Redaktionsteilzeitpraktikantin, formulierte eine etwas gewagte Hypothese: Maria kapierte irgendwann, was der Vater ihres Sohnes mit diesem vor hatte (Kreuzigung für das Heil der Welt). Das gefiel ihr gar nicht, sie protestierte heftig, konnte sich aber nicht durchsetzen gegen den Sturkopf von Vater. Und seitdem nimmt sie übel, und er auch.
Die zweite Irritation ging aus von der Hautunebenheit – Pickel, Warze? – auf Gott Vaters Wange. Wir wälzten theologische und kunstgeschichtliche Werke, ohne Ergebnis: Es gibt keine Theologie der Warze, und auch ikonographisch war nichts zu erfahren.
Ich telefonierte anderweitig mit Frau S., unserer streng bibelorientierten Hilfe bei Sonderfragen zum AT und NT. Beiläufig erwähnte ich unsere Probleme mit dem Bild des göttlichen alten Herrn. Obwohl auch Frau und sogar Mutter, hat sie Phöbes Hypothese in aller denkbaren Entschiedenheit zurückgewiesen, mit theologischen Argumenten. Und sie hatte eine andere mögliche Erklärung für den unpassenden Gesichtsausdruck und den unpassenden Pickel: Das Gesicht Gott Vaters ist vielleicht sozusagen ausgeliehen, es handelt sich möglicherweise um ein Portrait eines leibhaftigen würdigen alten Mannes der Zeit um 1516 (oder kurz davor). Leider haben wir dazu in den schönen Münsterbüchern nichts gefunden. Hat jemand von euch, liebe und geschätzte Besucherinnen und Besucher dieses Blogs, eine diesbezügliche Information oder entdeckt sie/er Ähnlichkeiten?
Ein weiterer Tatbestand erregte unsere Phantasie: Gott Vater trägt eine Krone, klar; aber darunter hat er eine Kappe über den Ohren. Das letzte Mal, so hat der Historisch-Kritische recherchiert, wurde eine solche Kappe getragen von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005, als ihn, wie er selber später erläuterte, fror. Es handelt sich nämlich um einen Camauro, in der Entstehungszeit unseres Bildes ein typisches Kleidungsstück des Papstes. Warum trägt Gott Vater diese päpstliche Kappe? Unser spottender Tor meinte, sicherlich friere er nicht, die nackten Putten auf dem Bild zeigten, dass der Himmel wohl temperiert sei. Es könnte vielmehr (neben dem Bild vom „geistlosen“ Petrus auf dem rechten Flügel des Hochaltarbildes) eine weitere gemalte Papstkritik sein: Der einzige wirkliche „Papst“ und Herr der Kirche sitzt nicht in Rom, sondern im Himmel, das ist nur Gott. Dagegen spricht, dass beispielsweise der ältere Zeitgenosse unseres grünen Hans‘, der das Altarbild gemalt hat, Albrecht Dürer, auch irdische gekrönte Häupter mit einem Camauro unter der Krone ausstattete, sicher keine Papstkritik.
Hans Baldung Grien malte dieses Bild in freundschaftlicher Auseinandersetzung mit einem Werk gleicher Thematik von Albrecht Dürer, dem Heller-Altar. Dürer stattete nicht den Vater, sondern den Sohn mit päpstlichen Insignien aus, und zwar gleich doppelt: Bei Dürer hat Christus einen Camauro tief über die Ohren gezogen, und darüber trägt er noch die päpstliche 3-fach-Krone, die Tiara. Hier in Freiburg fehlt die Tiara, und den Camauro trägt Gott Vater. So ist Raum für die Lockenpracht des göttlichen Sohns; aber das ist ein anderes Thema.
Wohl nicht historisch, aber wunderschön
Da niemand weiss, wann das kleine Jesulein zur Welt kam, können wir auch im Sommer einen Weihnachtsengel anschauen, hier einen Engel, der zwei Hirten auf Bethlehems Matten das Unbegreifliche, das im Stall passiert ist, zu verdeutlichen versucht. Die drei schönen Gestalten befinden sich auf einer kleinen Scheibe aus den Jahren 1270/1280, die zu einem Vierpass mit der Menschwerdung Gottes gehört, der heute ins Märtyrerfenster eingefügt ist. Man findet ihn oberhalb der beiden linken Langbahnen des Fensters mit seinen Märtyrerschauergeschichten, wenn man sein Auge vom Horror erholen will
Die Hochzeit von Eva und Adam
Auf diese Reihenfolge der Namen pocht Phöbe, unsere theologische Redaktionsteilzeitpraktikantin. Solange nicht alle Benachteiligungen der Frauen aus den Patriarchenzeiten beseitigt seien, müssten die winzigen Spuren von Privilegchen der damaligen Zeit konserviert werden. Deswegen nach wie vor Nennung der Frau vor dem Mann. Hier also die beiden, Eva rechts und Adam links, wie sie vor Gott dem Vater sich die Hand geben. Sie tun das in der rechten Archivolte des Schöpfungsportals auf der Nordseite des spätgotischen Chors, ganz unten rechts.
Im grossen Münsterbuch des Münsterbauvereins meint man, Gott verheiratet da die beiden. Die Formel war dann wohl nicht „Bis dass der Tod uns scheidet“, denn es war ja vor dem Desaster mit dem falschen Obst nicht ausgemacht, dass sie sterben mussten. Immerhin gab es im Paradies ja auch den “Baum des Lebens“, und vermutlich, so waren wir uns in der Redaktionskonferenz einig, hätten sie da irgendwann mal kontrolliert naschen dürfen mit endlosen Folgen. Der Ministrant sass einmal in der Stille der herrlichen Kirche „Santa Maria del mar“ in Barcelona, und da jauchzte unverhofft eine jubilierende Frauenstimme durch das hohe gotische Gewölbe: „Por toda la vida“, „für das ganze Leben“ versprach sich die überglückliche Braut einer Hochzeit, die er gar nicht wahrgenommen hatte. So hat es damals sicher auch im Paradies geklungen.
Aber gleich stellte sich uns die Frage, warum die beiden im Paradies überhaupt heiraten sollten. Ordnung schaffen durch die klaren Gartenzäune der ehelichen Treue? Fehlanzeige – erstens waren sie ja noch ohne Sünde, weswegen sie wohl gar nicht auf die Idee des Ehebruchs gekommen wären, und zweitens: mit wem? Zuständigkeiten klären bezüglich der Versorgung der Kinder? War doch auch so klar, kam ja kein anderer in Frage. Erbrechtliche Überlegungen? Auch ohne Bedeutung, mit ihrem Ableben rechnete ja niemand. Sakramentalen Segen für das Projekt Ehe? Auch nicht, Sakramente gibt’s ja erst in der Kirche, und bis es die gibt, müssen sich erst alle Geschichten des Alten Testaments ereignen. Ein schönes Fest feiern mit Verwandten und Freunden? Von Verwandten wussten sie nichts, denn Darwin lebte und lehrte erst viele Generationen später, so konnten sie keine Verwandtschaftsgefühle für ihre Geschwister vom Morgen des sechsten Schöpfungstag hegen, und von freundschaftlichen Kontakten mit Tieren hört man sehr wenig, nur mit der Schlange hat man anscheinend geredet, und das ging ja bekanntlich schief. Immerhin haben sie, wie uns Gen 1,29f lehrt, die Tiere noch nicht aufgegessen (das machten die Menschen erst nach der Sintflut, vgl. Gen 9,3), und das hätte Freundschaften etwas entkrampft. Schliesslich hatte Phöbe noch eine Idee: Vielleicht hat Eva die Sache eingefädelt. Ihr war die Gütergemeinschaft im Rahmen des Ehekommunismus‘ etwas langweilig, sie hatte überhaupt nichts eigenes, nicht einmal eigene Unterwäsche, wie man sieht. Und da rechnete sie: Wenn wir heiraten, muss er mir einen Ehering schenken, und der gehört dann mir, und darauf kann man dann schmuck- und geschenkemässig aufbauen; unseren Operationstag können wir ja in Zukunft als meinen Geburtstag feiern, und Hochzeitstag gibt’s ab jetzt auch.
Da berichtete der Historisch-Kritische, er sei auf eine Buchmalerei aus dem Jahr 1410 gestossen mit genau demselben Bildmotiv, Gott-Vater, der die Hände von Eva und Adam fürsorglich-zärtlich ineinander legt, und da hätten die Kunstgeschichtler dazu geschrieben: „Gottvater führt Eva dem Adam zu.“ Da wäre dann die Szene etwas anders gewesen: Nachdem Jung-Eva auch fertig war, standen sie einander gegenüber und blickten wie in einen Spiegel, und doch war das Ebenbild befremdlich anders. Da sagte Gott: Habt keine Angst (aber sie kannten ja noch keine Angst), sie beisst und kratzt nicht, und er schlägert nicht, ihr tut einander nur gut, ihr seid einander das Tüpfelchen aufs Paradies. Vorläufig, seufzte er, denn allwissend wie er war, war er mit Vorherwissen geplagt.
Und hier noch das ganze Tympanon samt Archivolten des Schöpfungsportals. Rechts ganz unten die paradiesische Rückseite unserer Urur……………………………………………………grossmutter. Was sie wohl gesagt hätte, wenn sie mitbekommen hätte, dass ich sie so fotografierte und sogar ihr Bild ins Netz stelle? Damals war sie ja noch ziemlich locker, aber bald danach wurde sie aus ungeklärten Gründen schaurig verklemmt und bastelte sich aus Feigenblättern den ersten Bikini (Gen3,7).
Beim Schall der Posaunen
In knapp 70 Meter Höhe steht dieser majestätische Engel zusammen mit seinen drei Kollegen seit etwa 1325; das heisst, das hier ist eine schöne Kopie, weil das Original aufs Altenteil kam. Es sind Gerichtsengel, und sie blasen auf – damals – modernsten Instrumenten, vor kurzem erst in Damaskus entwickelt. Sie stehen knapp unterhalb des Ansatzes des unendlich schönen, in der Welt einmaligen Turmhelms. Und sie stehen mit ihm in einem theologischen Sinnzusammenhang: Der Helm ist strahlend, lichtdurchflutet und zeigt symbolisch, was das ganze Kirchengebäude ist, nämlich Abbild des himmlischen Jerusalems, das am Ende aller Tage, zur Gerichtszeit, vom Himmel herabkommen wird. Dieses Ereignis – endgültiger Schrecken für die einen, endgültiges Wohl für die anderen – kündigen sie an. Und da wir alle Sünder sind, fürchten wir uns alle. Und wir wissen nicht den Tag noch die Stunde. Das ganze Münster ist eine Mahnung: Seid bereit!
Da sie so hoch oben stehen und man vom Turm oben fast nur ihren reizenden Rücken sehen kann, sind sie nicht sonderlich bekannt – ausser durch ein berühmtes Foto: Schwarz ragt die Silhouette des Engels, der Rand der Posaune abgebrochen, über dem ausgebrannten Skelett der im Bombenhagel des Abends des 27. November 1944 zerfleischten Stadt.
Für das Teleobjektiv sind die 80 oder 90 Meter Distanz überwindbar, aber es macht sich die viele Luft dazwischen schon etwas bemerkbar, und um den schönen Kerl so bildfüllend zu bekommen, muss man noch ein bisschen ausschnittvergrössern, was alles zusammen die ganz knackige Schärfe schluckt. Die Aufnahme entstand noch zur Zeit des Turmgerüsts, aber das dunkle Netz bildet einen guten Hintergrund für die hellgraue Gestalt.
Unheiliges zum Heiligen Geist
Frau J., Lehrerin, berichtete, ein Schüler habe die Meinung vertreten, Max Frisch habe „Romane und Zitate“ geschrieben. J.J. Rousseau hielt es ähnlich, und sein schönstes Zitat ist: „Der erste, der so dreist war, ein Stück Land einzuzäunen und zu sagen: ‘ Das ist meins‘ und der so Einfältige fand, die ihm das glaubten, war der wahre Begründer der bürgerlichen Gesellschaft.“
Das gefällt auch dem Toren sehr, und er meinte in der letzten Redaktionskonferenz, man könne mit gleichem Recht auch sagen: „Der erste der posthumen Parteigänger Jesu, der so dreist war, zu sagen: ‚Aus mir spricht der Heilige Geist‘ und der so Einfältige fand, die ihm das glaubten, war der wahre Begründer der christlichen Kirche.“ Mit dem angeblichen Jesuswort (Joh 14, 26), er werde seinen Sympathisanten nach seinem Tod den „Geist“ senden, der sie alles lehren werde, was er ihnen noch nicht beigebracht habe, hätten sich die Alpha-Tiere der sekundären Jesusbewegung der Jahrzehnte nach der Kreuzigung als angebliche Träger dieses Geistes einen Blanco-Scheck ausgestellt, mit dem sie ihren Gefolgsleuten alles, aber auch wirklich alles als göttliche Wahrheit aufs Auge drücken konnten. So konnten sie, meint der Tor, die spärlichen Überlieferungen, die sie hatten, als sie nach Überwindung der Schockstarre über den Tod ihres Chefs und Hoffnungsträgers daran gingen, ihn trotz allem zu vermarkten, gigantisch aufblasen und das Ganze als Wirken des „Geistes“ verkaufen. Derselben Paralogik seien die Strippenzieher des Konzils von 1870 mit dem Dogma von der päpstlichen Unfehlbarkeit gefolgt.
Danach kam der Defibrillator, den wir unlängst, trotz sehr knapper Kasse der Redaktionskonferenz, angeschafft haben (billigstes Internetangebot zu 1248,31 € incl. Versand), zum Einsatz, und dank dessen blieb uns der Ministrant erhalten. Es ist nicht überraschend, dass er, kaum dass der Notarzt verschwunden und er wieder bei Bewusstsein und Atem war, eine ganz andere Auffassung so vehement vertrat, wie es sein angegriffener Zustand erlaubte. Aber diese Meinung kann als bekannt vorausgesetzt werden. Er dringt darauf, dass wir für den Toren endlich ein päpstlich angeordnetes Bussschweigen beantragen, alldieweil eine thermische Radikallösung (Scheiterhaufen) zur Zeit nicht Mittel der Wahl sei.
Und hier noch der ganze Himmel, in dem unser hochheiliger Vogel fliegt, vom Hochaltarbild des Meisters Hans Baldung gen. Grien von etwa 1516.